Zur rechtmäßigen Ausübung des arbeitsvertraglichen Weisungsrechts
Die Versetzung an einen anderen Arbeitsort stellt eine einseitige Leistungsbestimmung dar, die nur nach billigem Ermessen, also unter Abwägung der Interessen des Arbeitgebers und der Mitarbeiter, erfolgen kann.
Der 56-jährige und 3 Kindern unterhaltspflichtige Kläger hatte an seinem bisherigen Arbeitsort wiederholt Auseinandersetzungen mit einem Vorgesetzten. Der Kläger wurde deshalb zunächst in eine andere Abteilung versetzt. Bei einer vorübergehenden Zuweisung in die Abteilung des Vorgesetzen kam es erneut zu einer Auseinandersetzung. In der Folge wurde dem Kläger eine Kündigung ausgesprochen, die das Arbeitsgericht allerdings für unwirksam erachtete. Nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils wurde der Kläger an einen anderen, 660 km von seinem Wohnort entfernten Arbeitsort versetzt. Der Arbeitsvertrag des Klägers beinhaltete ein deutschlandweites Versetzungsrecht. Der Kläger wandte sich gegen diese Versetzung, da es sich um eine reine Schikanemaßnahme handele.
Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten des Klägers entschieden. Insbesondere habe dieser nicht hinreichend dargelegt, dass die Versetzung nach billigem Ermessen erfolgt sei. Für die Ausübung billigen Ermessens sei eine Interessenabwägung erforderlich. Bei einer Abwägung wären die familiären Verhältnisse des Klägers zu berücksichtigen gewesen. Auch die Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und dem Vorgesetzten rechtfertigten die Versetzung nicht per se. Insbesondere hätte die Möglichkeit bestanden, den Kläger in einer anderen Abteilung am bisherigen Arbeitsort zu beschäftigen, wie die Vergangenheit gezeigt habe. Schließlich hätten auch andere, weniger schutzwürdige Mitarbeiter zur Verfügung gestanden, die an den anderen Arbeitsort hätten versetzt werden können.
(LAG Schleswig-Holstein 26.8.2015 – 3 Sa 157/15)
Tipp für die Praxis:
- Zwar besteht je nach Reichweite einer Versetzungsklausel die Möglichkeit, einem Mitarbeiter einen anderen Arbeitsort zuzuweisen. Im Rahmen dieser arbeitgeberseitigen Entscheidung sind jedoch die Interessen des betroffenen Mitarbeiters umfassend zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall hatte die Arbeitgeberin die unzutreffende Rechtsauffassung vertreten, dass die Versetzung ohne eine entsprechende vorherige Abwägung der beiderseitigen Interessen möglich sei.
Monatlich ausgezahlte Sonderzahlungen können auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden
Monatliche Sonderzahlungen, die als Arbeitsentgelt für die normale Arbeitsleistung ausgezahlt werden, können auf den gesetzlichen Mindestlohn angerechnet werden. Nachtarbeitszuschläge sind gemäß § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz auf der Basis eines (Mindest-)Lohns von EUR 8,50 zu berechnen.
Die Klägerin war bei ihrer Arbeitgeberin zu einem Stundenlohn von weniger als EUR 8,50 beschäftigt. Zusätzlich hatte die Klägerin einen vertraglichen Anspruch auf eine zweimalige jährliche Sonderzahlung in Höhe eines halben Monatsgehalts. In einer Betriebsvereinbarung vereinbarte die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat, die Sonderzahlung zu je einem Zwölftel monatlich auszuzahlen, so dass sich ein Stundenlohn von über EUR 8,50 ergab. Daneben waren im Arbeitsvertrag Überstunden-, Sonn-, Feiertags- sowie Nachtzuschläge vorgesehen, die die Arbeitgeberin weiterhin auf Grundlage des früheren Stundenlohns berechnete. Die Klägerin meinte, dass ihr zusätzlich zu den Sonderzahlungen ein Stundenlohn von EUR 8,50 zustünde. Zudem seien die Zuschläge auf Grundlage eines Stundenlohns von EUR 8,50 zu berechnen.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ist der Klägerin insoweit gefolgt, als dass die Nachtzuschläge auf der Grundlage eines Mindestlohns von EUR 8,50 zu berechnen seien. Grund hierfür sei der Wortlaut des § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz, wonach Arbeitnehmern bei Nachtarbeit ein angemessener Zuschlag auf das „zustehende Bruttoarbeitsentgelt“ zustehe. Nach dem Mindestlohngesetz stehe der Arbeitnehmerin ein Bruttoarbeitsentgelt von EUR 8,50 zu. Bei den Sonderzahlungen handele es sich hingegen um Arbeitsentgelt für die „normale Arbeitsleistung“ der Klägerin, sodass eine Anrechnung auf den gesetzlichen Mindestlohn möglich sei. Auch sei es rechtens, im Wege einer Betriebsvereinbarung zu vereinbaren, dass eine Sonderzahlung nicht mehr halbjährlich, sondern jeden Monat anteilig ausgezahlt werde.
Das LAG Berlin-Brandenburg hat im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung die Revision beim Bundesarbeitsgericht zugelassen.
(LAG Berlin-Brandenburg 12.01.2016, 19 Sa 1851/15)
Tipp für die Praxis:
- Auch ein Jahr nach Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes sind noch viele Rechtsfragen im Hinblick auf die Anrechnung von Sonderzahlungen auf den gesetzlichen Mindestlohn offen. Es bleibt insbesondere abzuwarten, ob sich das Bundesarbeitsgericht der Linie der Instanzgerichte anschließt, die bei der Anrechnung zwischen Sonderzahlungen für Normalleistung und Sonderzahlungen für über die Normalleistung hinausgehende Leistungen differenziert. Einstweilen scheinen hier auch abweichende Rechtsstandpunkte vertretbar.
Haftung des Arbeitgebers bei dem Diebstahl von Wertsachen im Betrieb
Eine Haftung des Arbeitgebers für gestohlene Wertgegenstände seiner Mitarbeiter kommt nur dann in Betracht, wenn es sich dabei um Gegenstände handelt, die ein Mitarbeiter zwingend, mindestens aber regelmäßig mit sich führt oder für die Arbeitsleistung benötigt. Nur dann hat der Arbeitgeber ihm zumutbare Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
Der Kläger, Mitarbeiter eines Krankenhauses, behauptete, dass ihm Schmuck und Uhren im Wert von EUR 20.000,00 aus dem Rollcontainer seines Schreibtisches gestohlen worden seien. Diese Wertgegenstände habe er mitgebracht, um sie nach der Arbeit zur Bank zu bringen. Aufgrund erheblicher Arbeitsbelastung habe er diese Absicht jedoch aus den Augen verloren. Er habe die Gegenstände über Nacht in seinem verschlossenen Rollcontainer in seinem Büro gelassen. Am nächsten Tag habe er festgestellt, dass die üblicherweise verschlossene Tür zu seinem Büro offen, der Rollcontainer aufgebrochen und die Wertsachen entwendet worden seien. Das Öffnen der Tür sei nur mit Hilfe eines Generalschlüssels möglich gewesen. Diesen habe eine andere Mitarbeiterin leichtfertigerweise in ihrer Kitteltasche aufbewahrt, woraus er nach Aufbrechen ihres Spindes entwendet worden sei. Die Arbeitgeberin habe für eine sichere Aufbewahrung des Generalschlüssels zu sorgen.
Der Kläger hat die Berufung zurückgenommen, nachdem das LAG Hamm im Berufungstermin ausgeführt hatte, dass Schutzpflichten und damit eine Haftung des Arbeitgebers nur für solche Gegenstände bestehen, die ein Mitarbeiter zwingend, mindestens aber regelmäßig mit sich führe oder aber für die Arbeitsleistung benötige. Hinsichtlich anderer, ohne jeden Bezug zum Arbeitsverhältnis und insbesondere ohne Kenntnis und Einverständnis des Arbeitgebers mitgebrachter (Wert-)Gegenstände ließen sich Obhuts- und Verwahrungspflichten hingegen nicht begründen. Andernfalls wäre der Arbeitgeber einem unerwarteten und unkalkulierbaren Haftungsrisko ausgesetzt.
(LAG Hamm 21.01.2016, 18 Sa 1409/15)
Tipp für die Praxis:
- Arbeitgeber haben ihren Betrieb derart zu organisieren, dass typischerweise mitgeführte oder für die Arbeit benötigte Wertgegenstände sicher verwahrt werden können. Unabhängig von der Frage, ob der Arbeitgeber seinen diesbezüglichen Schutzpflichten im vorliegenden Fall nachgekommen ist, kommt eine Haftung für Wertgegenstände ohne Bezug zum Arbeitsverhältnis nicht in Betracht.
Zweckbefristung zur Elternzeitvertretung
Eine Befristung aufgrund der Vertretung einer Stammkraft in Elternzeit kann bereits dann vereinbart werden, wenn diese die Elternzeit noch nicht schriftlich verlangt, sondern nur dem Arbeitgeber gegenüber angekündigt hat.
Der Kläger war bei seiner Arbeitgeberin auf Grundlage von 7 befristeten Arbeitsverträgen insgesamt 6 Jahre und drei Monate beschäftigt. Eine Stammkraft hatte gegenüber der Arbeitgeberin angekündigt, dass sie in Elternzeit gehen werde. Im letzten Arbeitsvertrag des Klägers wurde vereinbart, dass er bis zum Ende der Elternzeit der Stammkraft eingestellt werde. Bei Ablauf der Elternzeit befand sich die Stammkraft bereits wieder im Mutterschutz aufgrund einer weiteren bevorstehenden Geburt. Der Kläger beantragte die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis nicht mit Ende der Elternzeit geendet habe.
Das Bundesarbeitsgericht ist dem Vortrag des Klägers nicht gefolgt. Die vertragliche Befristungsabrede sei als Befristung zur Vertretung zulässig und transparent gewesen. Die Arbeitgeberin habe davon ausgehen können, dass die Mitarbeiterin nach Ende der Elternzeit die Arbeit wieder aufnehmen werde. Es sei für die Wirksamkeit der Befristung auch unschädlich, dass zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Elternzeit noch nicht schriftlich beantragt, sondern nur angekündigt worden sei. Schließlich lasse sich auch nicht aus der Tatsache, dass der Kläger insgesamt über 6 Jahre aufgrund von 7 befristeten Arbeitsverträgen bei der Arbeitgeberin beschäftigt gewesen sei, ein Indiz für eine rechtsmissbräuchliche Befristung und damit für eine Unwirksamkeit der Befristungsabrede ableiten.
(BAG 09.09.2015 – 7 AZR 148/14)
Tipp für die Praxis:
- Das Bundesarbeitsgericht hat mit seiner Entscheidung in der bisher umstrittenen Rechtsfrage, ob als Befristungsgrund bereits die Ankündigung der Elternzeit ausreicht, für Klarheit gesorgt. Zudem hat sich das Gericht auch mit der Frage des Rechtsmissbrauchs auseinandergesetzt. Es ist durchaus bemerkenswert, dass das Gericht die Dauer und Zahl der befristeten Arbeitsverträge nicht für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Befristung hat ausreichen lassen.
Angemessenheit eines Nachtarbeitszuschlags bei dauerhafter Nachtarbeit
Nachtarbeitnehmer haben einen gesetzlichen Anspruch auf einen angemessenen Nachtarbeitszuschlag oder einen angemessenen Freizeitausgleich. Im Normalfall liegt dieser Zuschlag nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts bei 25 % des Bruttoarbeitsentgelts (oder einem Freizeitausgleich in entsprechender Höhe). Der Anspruch erhöht sich bei Dauernachtarbeit auf 30 %.
Der Kläger war als LKW-Fahrer bei einem Paketdienst mit Arbeitszeiten von 20:00 Uhr bis 6:00 Uhr beschäftigt. Die Arbeitgeberin zahlte an den Kläger für die Arbeitszeit zwischen 21:00 Uhr und 6:00 Uhr einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von zunächst 11 % und nach mehreren schrittweisen Erhöhungen von zuletzt 20 %. Der Kläger begehrte die Feststellung, dass die Arbeitgeberin verpflichtet gewesen sei, ihm für die Zeit von 23:00 Uhr bis 06:00 Uhr einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 30 % zu zahlen oder einen entsprechenden Freizeitausgleich zu gewähren.
Das Bundesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Regelmäßig sei für die Zeit von 23:00 Uhr bis 6:00 Uhr gemäß § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz ein „angemessener“ Nachtarbeitszuschlag von 25 % zu zahlen oder eine entsprechende Anzahl an freien Tagen zu gewährleisten. Dieser Prozentsatz erhöhe sich bei Dauernachtarbeit wie im vorliegenden Fall auf 30 %, da Dauernachtarbeit zu einer zusätzlichen Belastung führe. Eine niedrigere Vergütung sei nur bei Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst möglich. Schließlich sei der für die Zeit von 21:00 Uhr bis 23:00 Uhr gezahlte Zuschlag nicht auf den gesetzlichen Nachtarbeitszuschlag anrechenbar.
(BAG 09.12.2015 – 10 AZR 423/14)
Tipp für die Praxis:
- Mit dem Urteil bestätigt das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung zur Höhe des gesetzlich vorgesehenen „angemessenen“ Nachtarbeitszuschlags. Eine Abweichung von den Vorgaben der Gerichte kommt nur in Betracht, wenn eine tarifliche Ausgleichregelung besteht. Von praktischer Bedeutung ist auch, dass das Gericht ein Anrechnung des für die Zeit von 21:00 Uhr bis 23:00 Uhr zusätzlich gezahlten Nachtzuschlages abgelehnt hat.
Teilzeitbeschäftigte dürfen nur anteilig zu Wochenendarbeit herangezogen werden
Eine unzulässige Diskriminierung eines teilzeitbeschäftigen Mitarbeiters liegt vor, wenn dieser genauso häufig wie vollzeitbeschäftigte Mitarbeiter zur Wochenendarbeit herangezogen wird.
Die Klägerin war bei ihrer Arbeitgeberin in Teilzeit mit einer halben Stelle beschäftigt. Ebenso wie vollzeitbeschäftigte Mitarbeiter musste sie an 2 Wochenendtagen pro Monat eine volle Schicht ableisten. Die Klägerin beantragte die Feststellung, dass sie nur anteilig (entweder mit zwei halben Schichten oder mit einer ganzen Schicht) am Wochenende zu arbeiten habe.
Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Nach § 4 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz sei eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern „wegen der Teilzeitarbeit“ verboten. Die Ungleichbehandlung liege vorliegend darin, dass die Klägerin im Vergleich zu Vollzeitkräften überproportional an den Wochenenden zur Arbeitsleistung herangezogen worden sei. Gerade die zusammenhängende Freizeit an Wochenenden werde aber ganz allgemein als vorteilhaft und erstrebenswert angesehen. Die Benachteiligung erfolge auch wegen der Teilzeitarbeit. Denn die Ungleichbehandlung ergebe sich unmittelbar aus der Tatsache, dass die Klägerin als Teilzeitkraft beschäftigt werde. Sachliche Gründe für die unterschiedliche Behandlung hat die Arbeitgeberin nicht vorgetragen. Insbesondere sei die unterschiedliche Behandlung nicht durch die (zusätzliche) erhöhte Vergütung für die Wochenendarbeit gerechtfertigt.
(LAG Berlin-Brandenburg 20.08.2015 – 26 Sa 2340/14)
Tipp für die Praxis:
- Das Urteil des Landesarbeitsgerichts hat die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bestätigt. Teilzeitbeschäftigte dürfen an Wochenenden nicht wie Vollzeitbeschäftigte eingesetzt werden. Vielmehr muss der Anteil der Wochenendarbeit der Teilzeitbeschäftigten mit dem Anteil der Wochenendarbeit von Vollzeitbeschäftigten übereinstimmen.